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Mutige Warnung vor den Nationalsozialismus

Mutige Warnung vor den Nationalsozialismus Vor 80 Jahren: Die fast vergessene Demonstration am 1. Mai 1938

Mutige Warnung vor den Nationalsozialismus

Vor 80 Jahren: Die fast vergessene Demonstration am 1. Mai 1938

 

In seinen Erinnerungen – aufgeschrieben für die Ausstellung „950 Menschen und Schicksale in Eger“ (2011) –   schrieb ein 81jähriger ehemaliger deutscher Bürger, dass die Tschechoslowakei einen „Konstruktionsfehler“ hatte: „Die Mehrzahl der fast dreieinhalb Millionen Deutschböhmen, ein Drittel des Staatsvolks, stand ihr ablehnend gegenüber.“ Aber, so fügte er hinzu: „Die junge Republik war zwischen den Weltkriegen der einzige demokratische Staat in Mittel- und Osteuropa. Und sie war – ungeachtet mancher Übergriffe – kein Polizeistaat.“

Die meisten Egerer waren unzufrieden mit der politischen Situation und viele betrachteten, seit Hitlers „Machtergreifung“ im Jahre 1933, das Deutsche Reich als Sehnsuchtsland. Die Propaganda der NSDAP wurde nicht durchschaut. Sogar viele fromme Christen glaubten den braunen Versprechungen: Nach dem Besuch des Gottesdienstes zum Dreifaltigkeitsfest in der Kapplkirche bei Waldsassen kauften die Wallfahrer nicht nur religiöse Andenken ein, sondern auch nationalsozialistische Souvenirs.

 

Treue zur Tschechoslowakei in schwerer Zeit

 

Nur die Egerer Sozialdemokraten schienen – informiert von ihren politischen Freunden aus Deutschland – das wahre Gesicht der „Dritten Reiches“ zu kennen. Aber sie gerieten immer mehr in Bedrängnis durch fanatisierte Anhänger der Sudetendeutschen Partei (SdP).

Dennoch wagte die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei (DSAP) den Widerstand: Sie rief zu einer Maikundgebung „gegen Kriegsgefahr und Faschismus – für Arbeit und Brot, Frieden, Freiheit Sozialismus“ auf. Am 1. Mai 1938 beteiligten sich – unter der tschechoslowakischen Fahne – erstaunlich viele Bürger an dem Demonstrationsumzug durch die Stadt, und sie bekundeten damit ihre Loyalität gegenüber dem von der Mehrheit ihrer Mitbürger abgelehnten Staate.

 

Es gehörte großer Mut dazu, sich an dieser politischen Kundgebung zu beteiligen – und die Reaktion der Gegner blieb nicht aus: Als Hitler, am 12. September 1938 (am „Reichsparteitag“ in Nürnberg) unter offener Androhung von Krieg den „Anschluss“ des Sudentenlandes forderte, versuchten etwa 300 bis 400 Henlein-Anhänger das Volkshaus, den Sitz der DSAP, zu stürmen. Alle Fensterscheiben wurden eingeworfen und der Schaukasten zerstört. Die „Republikanische Wehr“ konnte Schlimmeres verhindern. Erst nach einer Stunde kam die Gendarmerie zur Hilfe.

 

Von da an wurden die Sozialdemokraten noch mehr verfolgt. Dennoch wagten sie noch Mitte September einen letzten Aufruf an alle Mitbürger: „… Sudetendeutsche! Ihr steht nunmehr vor der Wahl: Gleichberechtigung durch Frieden oder Untergang durch Krieg… Vereinigung aller Kräfte für Frieden und Freiheit, für eine bessere Zukunft des Sudetenlandes, für ein neues Europa gleichberechtigter Völker…“ war auf den Plakaten zu lesen. Als die am 3. Oktober 1938 die Wehrmacht einmarschierte und der „Führer“ auf dem Egerer Marktplatz erschien, flohen viele Gegner des braunen Regimes nach Prag, um ihr Leben zu retten.

In der Hauptstadt aber begriff man nicht, dass es sich bei diesen Flüchtlingen um loyale und tapfere Mitbürger handelte. Weil sie Deutsche waren, wurden alle wieder in den Zug gesetzt und in ihre Heimatorte zurückgeschickt. „Wir waren auf deutscher wie auf tschechischer Seite unter die Räder gekommen!“ Als sie daheim am Bahnhof ankamen, wartete man dort schon auf sie: „Jetzt kommt das Gesindel! – Schlagt sie tot.“ Gleich auf dem Egerer Bahnhof wurden viele von ihnen abgeführt – zum Transport in ein Konzentrationslager.

Nach Darstellung der nationalsozialistischen Propaganda gab es überall nur begeisterte Zustimmung dafür, dass das Sudetenland „Heim ins Reich“ geholt wurde. Die Gegner des braunen Regimes aber wurden mit fanatischem Hass verfolgt – und „totgeschwiegen“.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wollte niemand in Deutschland an diese mutige Demonstration erinnert werden: Zu groß war das Entsetzen über die Vertreibung aus der Heimat.

Auch den Tschechen schien es lange unbekannt zu sein, dass nicht alle Deutschen Anhänger Hitlers waren. Auch diejenigen, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus ihr Leben riskiert hatten, hatte man wie Verräter aus ihrer Heimat vertrieben.

 

Ehrung der Gegner des Nationalsozialismus

 

Am Balthasar-Neumann-Platz 1 (wo früher das „Volkshaus“ der Sozialdemokratischen Partei stand) wurde am 12. September 2008 eine Gedenktafel angebracht. Darauf ist in tschechischer und in deutscher Sprache zu lesen: „In diesem Haus war in den 30er Jahren der Sitz der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Ihre Mitglieder setzten sich 1938 entschieden für die Verteidigung der Tschechoslowakischen Republik ein.“

 

In Erinnerung an diese fast vergessenen Helden sagte Dr. Jan Svoboda, Bürgermeister von Cheb: „Diese Gedenktafel soll an die Ereignisse vor siebzig Jahren erinnern, als sich die Sozialdemokraten energisch zur Verteidigung der Tschechoslowakischen Republik stellten. Es waren sie und auch andere Opponenten des Nationalsozialismus, die verfolgt wurden. Für deren Tapferkeit wollen wir, die jetzigen Bürger der Stadt Cheb, danken.“ Sozialdemokraten und alle anderen Antifaschisten hätten damals ihr Leben riskiert. „Ich glaube nur“, ergänzte er, „dass sie auf diese Ehrung sehr lange gewartet haben.“

 

Als Vertreter des tschechischen Außenministeriums hob Dr. Jiři Čistecký hervor, dass das tschechische Volk auch unter seinen deutschen Mitbürgern Verbündete im Kampf gegen den Nationalsozialismus hatte. Deshalb solle in Dankbarkeit daran erinnert werden. Die Gegner des Nationalsozialismus waren nicht nur die Mitglieder linker Parteien, sondern auch die Kirchen, die Gewerkschaften, sowie viele „normale, gewöhnliche Leute“, die eine enorme Tapferkeit bewiesen.

Diese heldenhafte Treue vieler deutscher Bürger zur Tschechoslowakei wurde von den Tschechen für lange Zeit ignoriert. Diese Gedenktafel sei also als eine „symbolische Entschuldigung“ bei diesen ehemaligen deutschen Mitbürgern zu verstehen.

 

Günther Juba 

Fotos aus dem Ausstellungskatalog „Die Sudetendeutschen Sozialdemokraten“ (2009):

Demonstration am 1. Mai 1938, unter der tschechoslowakischen Fahne

Im Oktober 1938 wurden die Demonstranten verurteilt und von der Polizei zum Bahnhof gebracht.

Fotos: Enthüllung der Gedenktafel am 12. September 2008:

(v. l.:) Dr. Jan Svoboda, Bürgermeister von Cheb, ein Übersetzer, Dr. Jiři Čistecký, Vertreter des Außenministeriums, Klaus Haussel, zweiter Bürgermeister von Marktredwitz, ein Mitglied der ČSSD (tschechische sozialdemokratische Partei)

Gedenktafel am ehemaligen Haus der sozialdemokratischen Arbeiterpartei

Verantwortlich: Tourist-Information
Entstanden / aktualisiert: 24.4.2018 / 24.4.2018
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