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Als Hitler nach Eger kam

Erinnerungen ehemaliger Kinder und Jugendlicher an den 3. Oktober 1938

In der Geschichtsschreibung werden meist nur die herrschenden Persönlichkeiten beachtet.

Die Schicksale der „kleinen Leute“ aber werden kaum erwähnt. Seit dem Mai 2011 ist in der Ausstellung „950 Menschen und Schicksale“ in der Nikolauskirche nachzulesen, wie die Egerer Bürger zum Spielball und Opfer der Mächtigen wurden. Einige der ehemaligen Bewohner der Stadt haben dort auch aufgeschrieben, wie sie den Tag erlebten, als vor 75 Jahren Adolf Hitler sich vor dem Stöckl als Befreier feiern ließ – und wie ihre Hoffnungen sehr schnell bitter enttäuscht wurden.

 

  1. H. war damals erst 12 Jahre alt. Er schreibt: „Für mich war Hitler ein Mann … der ein Präsident oder etwas Ähnliches in Deutschland war, und ich war neugierig, ihn einmal zu sehen…

Jedenfalls blieb in Eger alles ruhig bis zum 2. Oktober.

Über Nacht, am 3. Oktober 1938, stand auf dem Egerer Marktplatz vor dem Stöckl eine Tribüne und überall waren die Häuser mit Hakenkreuzfahnen jeder Größe beflaggt. Ich ging mit meiner Mutter auf den Marktplatz zum „Führerempfang“. Dort stand ich, stundenlang, langweilte mich – und den anderen Leuten erging es nicht anders.

Als es nun soweit war, dass der „Führer“ kam, … jubelten die Leute. Ich sah ihn dann auf einer Tribüne und er hielt eine Rede, von der ich mit meinem Alter weder etwas verstand und die mich auch nicht interessierte. Nach der Rede fuhr er durch die Stadt und vom oberen Markt kommend in die Steingasse, Richtung Franzensbad.

Was mir auffiel, dass niemand Blumen an Hitler überreichen noch in seinen Wagen werfen durfte. Erst in den nachfolgenden Wagen konnten die Blumen den SS-Leuten übergeben werden. Auf den Trittbrettern des Führerautos standen SS-Leute mit dem Gesicht in die Masse der Leute schauend. Er selbst stand nicht im Auto, als er an mir vorüber fuhr, sondern saß im hinteren Teil des Wagens und grüßte mit abgewinkeltem Arm zur Masse.

Für mich war das ein Spektakel, sehr amüsant und nichts Besonderes. Ich habe nicht einmal versucht, ein Foto von Hitler zu machen. Ich trug die Uniform der Deutschen Turner mit dem Emblem auf der Gürtelschnalle “frisch, fromm, frei, fröhlich“. Natürlich wurden sofort die Deutschen Turner in die Hitlerjugend übernommen – und so wurde ich ein Hitlerjunge.“

 

Die Zustimmung sehr vieler Egerer Bürger für den „Führer“ erklärt K. S., damals zehn Jahre alt, heute so: „Wir alle glaubten, dass dies zu recht geschehe. Wie ich heute weiß, war dies alles von den Nationalsozialisten schon lange ins Auge gefasst worden. Was in Deutschland wirklich geschah, war Vielen nicht bewusst.“

 

Die begeisterte Menge, die Hitler als Befreier von der tschechischen Vorherrschaft betrachtete, ahnte nicht, dass dieser brutale Diktator mit seinen fanatischen Anhängern das eigene Volk unterdrücken und dann wie eine willenlose Herde in einen verbrecherischen Krieg treiben würde.

 

Der damals achtjährige V. W. schreibt dazu nachdenklich: „Manchmal frage ich mich, wie alles so kommen konnte. Ich glaube nicht, dass mein Vater und mein Großvater, zwei rechtschaffene Männer, von den sich bereits abzeichnenden Untaten der Nazis in Deutschland etwas wussten. Für uns war Deutschland so etwas wie ein Mythos. Das kann unter den Jüngeren heute niemand nachvollziehen. Das ist verständlich, wir leben eben in einer veränderten Welt.“

 

Ein kleines Mädchen aber erkannte intuitiv, was die meisten Erwachsenen nicht begriffen: Die damals erst sechsjährige E. G. schreibt: „Als im Jahre 1938 die Deutsche Wehrmacht in Eger einmarschierte, konnte ich noch nicht verstehen, was da passierte. Aber die vielen Soldaten und der große Lärm auf der Straße machten mir sehr große Angst und ich begann zu weinen. Deshalb habe ich diesen Tag bis heute nicht vergessen.“ Die Eltern mussten das Kind nach Hause bringen, um es zu beruhigen.

 

Tatsächlich war für viele Egerer Bürger der Besuch des „Führers“ am 3. Oktober 1938 Anlass zu großer Sorge. So hatten die Sozialdemokraten von ihren politischen Freunden im Deutschen Reich bereits erfahren, was sie von den Nationalsozialisten zu erwarten hatten.

  1. K. war knapp 17 Jahre alt. Er schreibt:„Nach dem Einmarsch der deutschen faschistischen Truppen in das von Deutschen besiedelte Gebiet der ČSR kam ich ins Gefängnis.“ Einziger Grund für seine Verhaftung war die Mitgliedschaft in der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP).

 

Auch die engagierten Christen mussten nun erkennen, dass ihre Erwartungen an die neuen Machthaber schwer enttäuscht wurden.

  1. G. berichtet: „Nach dem Anschluss des Sudetenlandes 1938 an das Deutsche Reich machte sich auch sehr rasch die Unterdrückung der Kirchen, wie man sie aus dem Deutschen Reich kannte, in dem angeschlossenen Gebiet bemerkbar. Die … freie Meinungsäußerung wurde zunehmend eingeschränkt. In den Gottesdiensten und bei Beerdigungen nahmen regelmäßig Mitglieder der Gestapo als Spitzel teil.“

 

Die anfängliche Begeisterung über den „Anschluss“ hatte sich sehr schnell bei den meisten Egerer Bürgern in blankes Entsetzen über die braune Diktatur gewandelt. Als nur wenige Wochen später, am 11. November 1938, die jüdische Synagoge niedergebrannt wurde, schreib  K. S. dazu: „Widerstand dagegen erhob sich, meines Wissens, in der Öffentlichkeit nicht. …  jeder Angst, das gleiche Schicksal zu erleiden. Hinter vorgehaltener Hand wurde zwar Kritik geübt und für Viele wurde nun deutlich, in welches System wir geraten waren.“

 

Günther Juba

 

 

Fotos des damals 12jährigen G. H.:

 

Die Lange Gasse am 1. Oktober 1938: „… überall waren die Häuser mit Hakenkreuzfahnen jeder Größe beflaggt.“

Wartende Leute: „Ich ging mit meiner Mutter auf den Marktplatz zum „Führerempfang“. Dort stand ich, stundenlang, langweilte mich – und den anderen Leuten erging es nicht anders.“

HJ-Lager im Egertal (2): „Natürlich wurden sofort die Deutschen Turner in die Hitlerjugend übernommen – und so wurde ich ein Hitlerjunge.“

 

PS: G. H., von dem diese Fotos und die ausführlichste Beschreibung stammen, besuchte – trotz seines hohen Alters und einer Entfernung seines Wohnortes von ca. 200 km – regelmäßig den deutsch-tschechischen Stammtisch und blieb dann meist einige Tage in seiner Heimatstadt. Für die Ausstellung „950 Menschen und Schicksale“ schrieb er mehrere Beiträge und stellte zahlreiche Fotos zur Verfügung, welche vieles, was sonst in Vergessenheit geraten wäre, für die Nachwelt bewahrte. Er starb im August 2011, wenige Wochen nach seinem letzten Besuch in Eger.

Verantwortlich: Tourist-Information
Entstanden / aktualisiert: 12.1.2015 / 12.1.2015

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